Der Ritter von Forchtenstein
Hoch über dem kleinen Ort Forchtenstein thront die mächtige Burg Forchtenstein. Seit Jahrhunderten steht sie dort, ein Bollwerk aus Stein, das einst den Adelsgeschlechtern diente, später als Schatzkammer der Esterházy-Familie berühmt wurde und viele Geheimnisse in seinen Mauern birgt.
Doch es gibt eine Legende, die kaum jemand kennt.
Unten im Dorf, auf dem Spielplatz, steht eine große Ritterfigur aus Blech. Die meisten Kinder halten sie für eine einfache Statue. Aber wenn der Wind nachts durch die Gassen pfeift und der Mond über der Burg leuchtet, dann – so erzählt man sich – beginnt der Ritter sich zu bewegen.
Denn er ist kein gewöhnlicher Ritter. Einst, vor vielen Jahrhunderten, lebte er als Ritter Laurenz von Forchtenstein, ein treuer Beschützer der Burg und ihres größten Geheimnisses: der Blume des Lichts.
Diese magische Blume war ein Geschenk aus alter Zeit, bewahrt in den tiefsten Kammern der Burg. Man sagte, ihr Leuchten könne Finsternis vertreiben und böse Mächte bannen. Doch im Dreißigjährigen Krieg, als feindliche Truppen durch das Land zogen und Söldner plündernd umherstreiften, wollte ein dunkler Zauberer die Blume für sich. Er schlich sich in die Burg und durchstreifte die Gänge auf der Suche nach ihr.
Doch Ritter Laurenz stellte sich ihm entgegen. In einem erbitterten Kampf gelang es dem Ritter, den Zauberer zurückzudrängen. Doch der finstere Magier verfluchte ihn: „Du magst mich heute aufhalten, Ritter! Doch die Zeit wird kommen, da werde ich zurückkehren. Dann wird die Blume mein sein – und du wirst nichts weiter als kaltes Blech sein!“
Mit seiner letzten Kraft schaffte Laurenz es, die Blume aus der Burg zu bringen und sie an einem scheinbar unscheinbaren Ort zu verstecken: unten im Dorf, dort, wo heute der Spielplatz ist. Um die Blume zu schützen, nahm er selbst die Gestalt einer großen Ritterstatue an, bewacht von einem Zauber, der ihn erst wieder erwecken würde, wenn Gefahr drohte.
Und in einer stürmischen Nacht, lange nach dem Ende der alten Kriege, kam diese Gefahr zurück.
Eine dunkle Gestalt tauchte im Dorf auf. Nebelschwaden krochen durch die Straßen, und das Mondlicht schien schwächer als sonst. Der Zauberer war zurückgekehrt! Jahrhunderte hatte er gewartet, und nun wollte er endlich die Blume in seine Gewalt bringen.
Doch als seine geisterhaften Finger sich nach ihr ausstreckten, begann der Ritter aus Blech zu klirren. Langsam erwachte er zum Leben. Seine Augen glühten wie brennende Kohlen, sein Schwert blitzte auf.
„Nicht so schnell, finsterer Geist!“ donnerte er mit einer Stimme, die die Mauern der Burg erzittern ließ.
Ein Kampf entbrannte, der die Nacht erfüllte. Der Wind heulte durch die engen Gassen, Blitze zuckten über den Himmel. Die Burg Forchtenstein, die einst seine Heimat gewesen war, thronte stumm über dem Schlachtfeld, als würde sie ihrem alten Ritter zusehen.
Mit einem mächtigen Schwung rammte der Ritter die Blume in den Boden. Ein gleißendes Licht breitete sich aus, heller als tausend Fackeln. Der Zauberer schrie auf, seine dunklen Schatten zerrissen – und endlich, nach Jahrhunderten, war der Fluch gebrochen.
Der Ritter spürte, dass seine Aufgabe nun erfüllt war. Langsam erstarrte er wieder, seine Glieder wurden starr, sein Körper wieder zu Blech. Doch diesmal war es anders: Sein Gesicht zeigte ein zufriedenes Lächeln.
Und die Blume? Sie leuchtet noch heute in klaren Nächten, verborgen unter dem Spielplatz.
Die Kinder von Forchtenstein wissen es genau: Der Ritter aus Blech ist kein gewöhnlicher Spielplatzhüter – sondern der ewige Wächter der Burg, der noch immer über seine Heimat wacht.